12. Mai 2022 – Musik Redaktion

Real existierender Rap

Über die Hip-Hop-Szene in der DDR und im Osten

Bezahlte Werbepartnerschaft - Wer an die DDR denkt, denkt an Sozialismus, die Stasi und an Trabis – aber weniger an Hip-Hop.

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Die einstige Teilung Deutschlands war so tiefgreifend, dass die Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Teilweise lässt sich das selbst noch im Auftreten und den Texten von Künstlern einer Musikrichtung sehen, die wohl eher wenige mit der DDR in Verbindung bringen – nämlich dem Rap. Folgt uns auf den Spuren „des anderen deutschen Raps“, der bereits Wurzeln schlug, als viele Politiker sich noch fragten, ob man derlei künstlerische Versuche verbieten oder doch lieber staatlich umschmeicheln sollte.

Jugendkultur in der DDR: Immer zwischen Staatsgewalt und Rebellentum

Die DDR, die Deutsche Demokratische Republik, bestand als Staat vom 7. Oktober 1949 bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990. Wie ihr wahrscheinlich wisst, war sie aus der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Die offizielle Staatsideologie der DDR: der Marxismus-Leninismus.

Während die Machthaber die DDR als einen deutschen Friedensstaat bezeichneten, führten das undemokratische politische System sowie wirtschaftliche Schwächen zu einer zunehmend regimekritischeren Einstellung der Bevölkerung. Zwar arrangierten sich auch die jungen Menschen anfangs mehr oder weniger mit der Situation, kulturell lebten sie aber bereits in einer Parallelwelt. 

Die „weltumspannende Sprache des Rock 'n' Roll“, so formuliert es die bpb, die Bundeszentrale für politische Bildung, hatte auch die Jugend der DDR erfasst. Die Geschichte der Jugend(-kultur) in der DDR sei letztlich sogar die einer „gescheiterten Einflussnahme des Staates auf sie“.

So lebte die Jugend in der DDR stets zwischen Staatsgewalt und Rebellentum, das sich in unterschiedlicher Form äußerte – darunter eben auch in Ausprägungen der Kultur. Über Verwandte und Bekannte aus der Bundesrepublik gelangten Schallplatten westlicher Idole in die Hände der DDR-Jugend. Man hört Musik, die eigentlich verboten ist und beginnt, in eigenen Liedtexten teils unverhohlen die verordnete sozialistische Moral abzulehnen. Man verschlingt Literatur, die Rebellion und Fernweh umgibt. Man denkt über die Grenzen des eigenen Staates hinaus. Und irgendwann schaffte es dann sogar die Hip-Hop-Kultur in die DDR.

Breakdance auf sozialistischem Beton: Als die Welle losging

Ost-B-Boys und -Girls und erste Rap-Gruppierungen

Von allen Jugendkulturen, die sich in der DDR nach und nach ausbreiteten, ist der Hip-Hop wohl eine der letzten. Erst ab etwa 1983 gab es eine kleine und überschaubare Szene in der DDR, die sich an den vier typischen Elementen, dem Breakdance, Rap, Graffiti und DJing versuchte.

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Besonders Breakdance fand in der DDR schnell anklang, als erste Hip-Hop-Sounds aus den USA über den Eisernen Vorhang schwappten. Zu dieser Musik musste anders getanzt werden als man es zu Pop und Rock tat. In Thomas Gottschalks Sendung „Na sowas!“ wurde 1983 der beste Breakdancer gesucht – die bildliche Untermalung des neuen Tanztrends war also hiermit nun auch gegeben. 

Nach und nach entstanden erst in größeren Städten mit Westempfang und schließlich auch in kleineren Städten Gruppierungen an Breakern und schließlich an Rappern. Bald wurde gar in der Öffentlichkeit getanzt und gerappt – wobei Volkspolizei und Stasi öffentliche Auftritte grundsätzlich vorerst auflösten.

Beat Street: Das filmgewordene Woodstock einer ganzen Generation

Jugendliche in der DDR, an denen Hip-Hop bislang vorbeigegangen war, wachten spätestens am 14. Juni 1985 auf. An diesem Datum feierte der Film „Beat Street“ Premiere in der DDR – und er wurde damit zu einer Art filmgewordenem Woodstock einer ganzen Generation.

Worauf bestehende Fans der Jugendkultur nur gewartet hatten, faszinierte auch Neulinge, denen Breakdance, Rap, scratchende DJs und die bunten Schriftzüge bislang im Tal der Ahnungslosen vorenthalten geblieben waren. Plötzlich kannte jeder Graffiti und jeder wusste, was Beatbox und Rap bedeutete. Echte Stars der neuen Kultur motivierten zum Nachmachen – und Beat Street verankerte den Hip-Hop endgültig in der DDR.

SED und Stasi: Rap als Politikum

Für den SED-Staat war diese Jugendkultur, anders als man vielleicht meinen könnte, kein absoluter Dorn im Auge. Allerdings wurden etwa Breaker oder auch Rapper stets politisiert – ob sie sich in ihren Texten nun politisch äußerten oder nicht.

Die DDR verbat Hip-Hop also nicht. Stattdessen kontrollierte man dessen Ausführung und überwachte sie. Der Staat und die SED dachten sich Strategien aus, mit denen die neue Jugendkultur zwar gefördert werden, aber bestenfalls gleichzeitig auch in die gewünschten politischen Bahnen gelenkt werden konnte.

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So wurden manche Künstler:innen als offiziell zu Veranstaltungen buchbar eingestuft, während man es anderen untersagte, öffentlich aufzutreten. Mit Verhaftungen und Einschüchterungen von Volkspolizei und Stasi ließ sich formell gut arbeiten. Doch natürlich entzogen sich die vielschichtigen Bedeutungen, mit denen die Jugend den Hip-Hop belegte, größtenteils auch der staatlichen Steuerung und Kontrolle.

Electric Beat Crew: Platten aus der Platte

Die „Electric Beat Crew“ ist ein gutes Beispiel für deutschen Hip-Hop aus der DDR. Es handelt sich dabei um ein Musiker-Duo, das aus Olaf Kretschmann alias Master K. und Marco Birkner alias M.A.C. bestand. Die beiden veröffentlichten die erste und einzige englischsprachige Hip-Hop-Platte in der DDR.

Die Veröffentlichung der EP mit dem Duo-gleichen Namen „Electric Beat Crew“, wurde in nur 10.000 Kopien gepresst und war umgehend ausverkauft. Die Veröffentlichung brach als erste ostdeutsche Hip-Hop-Platte ein Tabu – und war ein Segen für rapbegeisterte DJs in der DDR.

Denn diese waren aufgrund der sogenannten 60/40-Regel der AWA (Anstalt zur Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik) verpflichtet, mindestens 60 % Musik aus der DDR oder den weiteren RGW-Staaten zu spielen. Da die Electric Beat Crew offiziell in der DDR veröffentlicht hatte, war ihre Musik staatskonform und brach in gewisser Weise dennoch die Grenzen des damals kulturell lokal Vorstellbaren.

Rap nach der Wende: Blühende Landschaften?

Von Weggezogenen und Orientierungslosen

Ihr denkt nun sicherlich, dass der Rap nach dem Mauerfall so richtig aufblühen und sich endlich uneingeschränkt entfalten konnte. Doch so einfach war es tatsächlich nicht. Denn die staatliche Förderung des Hip-Hop zu DDR-Zeiten – so sehr das ganze auch unter Kontrolle vonstattenging – hatte der Kultur durchaus geholfen. Jetzt war diese Förderung auf einmal entfallen. 

In der Folge lösten sich einige Hip-Hop-Gruppen nach dem Mauerfall auf. Vereinzelte Mitglieder versuchten, sich als Solokünstler:innen eine Karriere aufzubauen. Doch die gesamte Szene rutschte in ein Tief. Eine Phase ohne Orientierung und Hoffnung für gerade auch den deutschen Rap folgte.

Nach und nach allerdings fanden manche Gruppen wieder zusammen. Auch heute noch sind manche Hip-Hopper von damals noch privat oder gar beruflich entsprechend aktiv. Viele der zu Zeiten der DDR Jugendlichen sind heute zur Überzeugung gekommen, dass Hip-Hop ihnen gelehrt hat, für sich selbst und die eigene Kultur einzutreten. 

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Erstickt von Sorgen und Unkultur?

Noch heute wird der Osten vielerorts mit Strukturwandel, Arbeitslosigkeit und durchaus auch mit Faschismus in Verbindung gebracht. Obwohl sich die Zeiten gewandelt haben, gibt es tatsächlich auch heute noch besonders stark wahrnehmbare rechte Tendenzen in den ostdeutschen Bundesländern. Doch so schlimm wie kurz nach der Wende ist es heute zum Glück nicht mehr.

Mit den Neonazis hatten damals auch heranwachsende Rapper:innen zu kämpfen. Hendrik Bolz, Teil des Rap-Duos „Zugezogen Maskulin“, erzählt in einem Interview:

„In meinem Leben war es total normal, dass es Neonazis gab, die auf Spielplätzen saßen, die ‚Heil Hitler!‘ gerufen und Leute verprügelt haben. […] Regelmäßig gab es ostdeutschlandweit rechte Übergriffe. Aber das ist weder im ostdeutschen noch im gesamtdeutschen Bewusstsein angekommen. […] Ich kann mir schon vorstellen, dass es auch Spaß macht, endlich mal der Stärkere zu sein, wenn man in einem totalitären Staat aufgewachsen ist, einem immer nur von anderen gesagt wurde, was man tun und lassen soll. Wer weiß, ob ich da nicht genauso reingerutscht wäre, wenn ich damals Jugendlicher gewesen wäre.“

Die rechte Szene bereitete dem Hip-Hop doppelt Probleme, weil einige Neonazis nun auch Rapfans wurden. Auch das bestätigt Bolz und berichtet dabei aus Erfahrung:

„Im Laufe der 2000er wurde dann bei uns Rap die vorherrschende Jugendkultur, was dazu geführt hat, dass viele ehemalige Neonazis auf einmal Rapfans waren, ein paarmal öfter ins Solarium gegangen sind und ihre Springerstiefel gegen Turnschuhe getauscht haben.“

Einige Personen – vor allem Szeneferne – begannen, Teilen des Hip-Hop an sich rechte Tendenzen zu unterstellen. Noch Jahre später wird mit vermeintlich problematischem Kulturgut fälschlicherweise Rechtsextremismus assoziiert. Rapper Dissziplin alias Ben Arnold, berichtet, wie einer aus dem Westen meinte, „in Dissziplin ist ein Doppel S, wie bei SS, und deswegen sei ich braun.“ Der Rap-Name kommt allerdings vom Dissen, dem Heruntermachen im Rap, und hat rein gar nichts mit der SS zu tun.

Rapperin Pyranja unterstreicht das Problem und macht darauf aufmerksam, dass es keinen „Ostrap“ gibt, sondern, wenn, dann „Rap aus dem Osten“. Doch auch hier sei das Ganze nicht mit den USA zu vergleichen, „wo man am Beat erkennen konnte, ob jemand aus New York oder L.A. kam“.

Maskulin, Baby! West-Berlins neue Töne aus dem Osten

Rappen Ost und West anders?

Rap aus dem Osten und Rap aus dem Westen – gibt es da wirklich keine Unterschiede? Und falls doch, sind diese einfach nur marginaler als etwa beim Westcoast- und Eastcoast-Rap aus den Staaten?

Stilistisch bestehen zwischen Rap aus dem Westen und dem Osten Deutschlands kaum Unterschiede. Rapper:innen, die beinahe akzentfrei rappen, sind heute kaum noch einer bestimmten Region Deutschlands zuzuordnen. Dennoch gibt es offen kommunizierte Rivalitäten. Einige Ost-Rapper:innen sind gegen die Wessis – und umgekehrt. Das hört man mitunter aus den Texten heraus.

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Noch immer hat der Osten mit Problemen wie der höheren Arbeitslosenquote als im Westen zu kämpfen – auch, wenn sich hier schon eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu früher zeigt. Diese Probleme, die viele noch immer als Hoffnungslosigkeit wahrnehmen, spiegeln sich ebenfalls in den Texten mancher ostdeutscher Rapper. Oft entsteht daraus fast schon eine einer Art Ostruck, der sich lyrisch bemerkbar macht. Doch auch dieser wird wiederum häufig selbst von ostdeutschen Rapfans kritisiert. Mit solchen Texten betone man, so viele Jahre nach der Deutschen Einheit, eher die Unterschiede anstatt die Gemeinsamkeiten.

Der Osten macht den Westen hart

Bis heute kann zumindest, ohne dass man dafür ein Rapkenner sein müsste, festgestellt werden, dass Rap aus dem Osten oft härter ist als Rap aus dem Westen. Oder dass er das zumindest viele Jahre lang war.

Mit westdeutschem Rap verband man viele Jahre lang vor allem Conscious Rap und Gruppen wie „Massive Töne“ oder „Freundeskreis“ aus Stuttgart oder die „Beginner“ aus Hamburg. Größtenteils softe, manchmal lustige und meist heitere Tracks, dominierten die deutsche Raplandschaft. Doch Mitte, Ende der 90er und vor allem dann Anfang der 2000er Jahre begann Berlin sich zum Mekka des Deutschraps zu erheben. Plötzlich redeten alle über „Die Sekte“ anfangs bestehend aus Sido, Rhymin Simon, Vokalmatador und B-Tight oder „M.O.R.“, einer Crew, zu der auch Kool Savas gehörte. Der Tenor plötzlich: Straße, Ghetto, Härte und Gewalt.

Großstadtprobleme und der harte Alltag in manchen Bezirken wirken heute aber auch als verbindendes Element zwischen Osten und Westen. Gangsta- oder Straßenrap ist eines der großen Subgenres des deutschen Raps geworden, das so beliebt ist wie kaum ein anderes Musikgenre in Deutschland. Dabei geht es heute häufig auch im Prestige, um schnelles Geld, teure Autos und schweren Schmuck.

Es verwundert nicht, dass dadurch auch ähnliche Thematiken in den Tracks von Rapper:innen aus dem Osten und aus dem Westen zu beobachten sind. Rapper aus den unterschiedlichsten Bundesländern erzählen beispielsweise von ihren Erfahrungen rund ums Glücksspiel. Die einen betonen die Liebe zum Spiel, die anderen ihre Sucht und die Schwierigkeit, das mit dem Spielen sein zu lassen.

Um bei erwähntem Beispiel zu bleiben: Wie in Westdeutschland gibt es natürlich auch im Osten, etwa in Sachsen, in den unterschiedlichsten Städten Casinos und Spielhallen. Selbstverständlich sammeln bereits junge Menschen Erfahrungen mit dem Glücksspiel – allein schon, weil sie von Rappern in deren Texten damit konfrontiert werden. Diese Erfahrungen wirken sich wiederum auf die eigene Lebenswelt aus – und alle neuen Rapper:innen, die heranwachsen, sei es im Osten oder Westen, verarbeiten ähnliche Thematiken dann wieder in ihren Texten.

Ostdeutscher Rap nach der Jahrtausendwende: Der letzte Eiserne Vorhang wird hochgezogen

Sido: Erst verheimlicht, dann offensiv

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf einige Beispiele ostdeutscher Rapper:innen nach der Jahrtausendwende. Um Sido (bürgerlich: Paul Würdig) kommen wir dabei natürlich nicht herum.

Der Rapper mit den Ostberliner Wurzeln zählt zu den bekanntesten Deutschrappern überhaupt. Was allerdings viele heute nicht mehr wissen: Sido hat seine Herkunft lange Zeit vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. So gab er lange vor, Kind des Märkischen Viertels zu sein, einer Hochhaussiedlung, die am Stadtrand des ehemaligen Westteils der Hauptstadt liegt.

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Erst 2009 „outete“ sich Sido in seinem Song „Hey du“. Hier erzählte er, dass er ein Ostlerjunge ist. Er gibt Einblicke in die Fluchtgeschichte der alleinerziehenden Mutter und rappt über schwierige Themen wie seine Zeit in einem Westberliner Heim für Asylbewerber. Genau aufgrund der Offenheit des Rappers ist Sido bei vielen Rapfans auch heute noch, als „Rap-Papa“, so beliebt.

Pyranja: Jung, weiblich, Rostockerin

Die bereits erwähnte Rapperin Pyranja hat es geschafft den DDR-Alltag in Rapform zu gießen. Auf dem Song „Kennzeichen D“ beispielsweise, gelingt es ihr, beinahe alle Spielarten des SED-Staates durchzudeklinieren. Das Gefühl, stets eingesperrt zu sein, kommt auf dem Track zu Geltung, wie in vielleicht keinem anderen deutschen Raptrack.

Wenn ihr Pyranja bislang nicht auf dem Schirm hattet, solltet ihr die Diskografie der Mecklenburg-Vorpommerin unbedingt einmal auschecken. Schließlich rappt Pyranja inzwischen schon seit über zwanzig Jahren und in dieser Zeit hatte sie einiges zu sagen – nicht nur zum Osten des Landes.

Finch: „Asozial“ viel Lokalkolorit

Bevor Finch es wieder getan hat, dachten viele Rapfans vermutlich, dass die Zeit der „Ostalgie“, der nostalgischen Wahrnehmung der DDR in der Bevölkerung Ostdeutschlands seit der Wende, in der Kunst passé sei. Doch Finch Asozial – inzwischen nur noch Finch – bewies das Gegenteil, als er 2016 mit seiner Debütsingle „Ostdeutscher Hasselhoff“ erstmals einem größeren Hörerpublikum bekannt wurde.

Es folgte die EP „Fliesentisch Romantik“, auf der sich ebenfalls Vieles um das moderne Ostdeutschland dreht und den Stolz, ein Kind ebendieses Ostens zu sein. Gleichzeitig muten viele der Texte des Rappers auch satirisch an. Zudem beschäftigt sich Finch gemeinsam mit Rapper Tarek der Gruppe K.I.Z in ihrem gemeinsamen Song „Onkelz Poster“ kritisch mit dem Konflikt Ost- gegen Westdeutschland. 


Vandalismus: Ost-Verarbeitungen im Sprechgesang

Vandalismus, ein Rapper, der ehemals unter dem Namen Disko Degenhart aktiv war, verarbeitet den Osten ebenfalls in seinen Texten. Dabei spielt seine Geschichte eine wichtige Rolle: Die Eltern des damals noch Zehnjährigen wurden tagsüber von der Stasi verhaftet. Als der heutige Rapper von der Schule nach Hause kam, waren seine Eltern einfach nicht mehr da.

Seine Großmutter musste für mehr als drei Jahre in die Mutterrolle schlüpfen. Die Eltern saßen ihre Strafe als politische Gefangene in unterschiedlichen Haftanstalten ab, bis sie Frühjahr 1989 von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Erst in einer Asylunterkunft in Bayern traf die ganze Familie wieder aufeinander. Genug Stoff für mindestens einen komplexen Track. „Rote Kirschen“ sollte sich jeder einmal anhören, den die Geschichte interessiert.

Trettmann: Was Ost-Platte und Bronx gemeinsam haben

Trettmann gehört zu den Rappern, die schon zu DDR-Zeiten dem Hip-Hop frönten und Idolen aus den USA nacheiferten. Tretti (bürgerlich: Stefan Richter) begann schon damals in Karl-Marx-Stadt die Mode der Rapper nachzumachen und nähte sich ganz einfach drei weiße Streifen auf seine Stoffjacke. So war er seinen Adidas tragenden Helden aus der Bronx ein wenig näher.

Doch nach dem Mauerfall geschah genau das, was wir bereits beschrieben haben – und Trettmann erfuhr es am eigenen Leib. Das neue Chemnitz war auf einmal kein Gebiet, auf dem die neue Freiheit großartig ausgelebt werden konnte, sondern ein rechtsfreier Raum. „Grauer Beton“, so auch der Songname seines wohl bekanntesten Hits, Arbeitslosigkeit und gewaltbereite Neonazis – das war alles, was übrigblieb.

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Fazit: Ost-Rap heute – Der Graben ist noch nicht geschlossen

In Zeiten der DDR wusste die omnipräsente Staatsmacht nicht, wie sie mit dem Phänomen Hip-Hop und mit Rapmusik im Speziellen umgehen sollte. Doch auch, wenn die ostdeutsche Szene in den Neunzigern ihre ganz eigenen Probleme hatte, lässt sich feststellen, dass wir es bis heute mit einer eigenen deutschen Rap-Identität zu tun haben.

Rap-Deutschland mag zwar zusammengewachsen sein, doch zwischen einigen Rapper:innen aus dem Westen und etwa Finch, der seine ostdeutsche Herkunft stark betont, sind die Unterschiede immer noch feststellbar. Doch das meinen wir im Guten, nicht im Schlechten. Wir finden: Solange Rapper:innen aus dem Osten nicht grundlos gegen solche aus dem Westen schießen und umgekehrt, gibt es keine Gründe, die eigene Vergangenheit nicht auch textlich immer wieder aufzuarbeiten. Vielleicht lernt der ein oder andere junge Rapfan dabei dann sogar noch etwas über deutsche Geschichte.

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