08. September 2020 –

Interview mit Robert Marc Lehmann

"Am Ende werden die Vegetarier und die Veganer unseren Planeten retten"

Er ist Meeresbiologe, Forschungstaucher und Umweltschützer. Robert Marc Lehmann setzt sich für die Zukunft unseres Planeten ein und begibt sich dafür auf spannende Entdeckungsreisen. Im Interview spricht er darüber, was wir ändern müssen, um die Erde zu retten.

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Foto: dieter76 - stock.adobe.com

Wir müssen mit unseren Lebensmitteln und den Ressourcen und Lebewesen auf unserem Planeten sorgsam umgehen. Dazu gehört nicht nur, keine Lebensmittel wegzuschmeißen, die eigentlich noch essbar sind. Auch was wir essen und wo es herkommt ist entscheidend. Darauf weist auch der Umweltschützer und Meeresbiologe Robert Marc Lehmann hin.

Für den Dreh einer Dokumentation ist Lehmann zu verschiedenen Orten auf der Welt gereist, um Aspekte zu beleuchten, die viele nicht sehen, obwohl sie total wichtig sind. Im Interview erzählt er, welche Erfahrungen er bei dem Dreh gemacht hat, wie ihn diese Erfahrungen beeinflusst haben und was jeder Einzelne von uns tun kann.

Robert Marc, was genau möchtest du bei den Zuschauern mit deinen Sendungen bewirken?

Robert Marc Lehmann (37): Vielen Menschen bleibt vieles verborgen. Das Meer kann Dinge gut verstecken. Geisternetze oder Plastikmüll, sowas sieht man nicht unbedingt. Man sieht auch das Artensterben nicht unbedingt, außer man fährt vielleicht 500 Kilometer auf der Autobahn und merkt, dass die Insekten fehlen und die Frontscheibe gar nicht mehr so oft sauber gemacht werden muss. Ich versuche diese verborgenen Dinge einzufangen, das zu dokumentieren und etwas davon mit nach Deutschland zu bringen um den Menschen zu zeigen, dass jeder etwas damit zu tun hat. Das bedeutet auch, dass jeder etwas daran ändern kann.

Was erwartet die Zuschauer da konkret?

Robert Marc Lehmann: In den ersten beiden Teilen sind im Prinzip die letzten zehn Jahre meiner Arbeit zusammengefasst. Zahlreiche und spannende Expeditionen, Abenteuer oder Tiermomente aus über 100 Ländern und das alles komprimiert auf zwei Stunden. Danach sind wir auf der Suche nach dem Fuchshai, ein ganz seltenes Tier, welches es nur an einem bestimmten Platz gibt, an dem man es regelmäßig treffen kann.

Da habe ich auf der Insel Malapascua auf den Philippinen gelernt, dass es um viel mehr geht, als nur um diesen Hai. Um ein ganzes Ökosystem, Menschen, Riffe und auch um uns selber. Das war auch wieder eine turbulente Reise mit vielen Dingen, bei denen man denkt, "wow krass, das habe ich nicht gewusst", bis hin zu, "ich habe etwas damit zu tun und ich kann das für mich in Deutschland anwenden, was auf den Philippinen passiert".

Welche Auswirkungen hat die Fischerei auf die Weltmeere und auf die Umwelt?

Robert Marc Lehmann: Die Meere sind so gut wie leer. Da ist nicht mehr viel los, wir haben so gut wie alles aufgegessen. Egal was die Fischereiwissenschaftler sagen, wir holen alles raus, fangen sogar die Babys und dann braucht man kein Wissenschaftler zu sein, um zu verstehen, dass dann nichts mehr nachkommt. Vor 15 Jahren hat mein Fischereibiologie-Professor zu mir gesagt: "Herr Lehmann, wenn wir so weiter machen, sind in 20 bis 30 Jahren die Meere leer." Wir haben noch zehn, vielleicht 15 Jahre, in denen wir das umbiegen können, aber wir können nicht auf morgen warten, wir müssen das jetzt machen. Ich kann heute Abend den richtigen Fisch kaufen, den Fisch der nachhaltig ist und nicht vom Aussterben bedroht ist oder ich kann sogar aufhören, Fisch zu essen.

Was wir nicht vergessen dürfen ist, dass wir in Deutschland leben. Uns betrifft das nicht. Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Wenn wir hier keinen Fisch mehr essen können, stört das an sich keinen, davon würden wir nicht sterben. Es gibt aber aktuell über eine Milliarde Menschen auf der Erde, aus Westafrika, Ostafrika, Asien und Indonesien, die von Fisch leben müssen. Das ist deren Nahrungsquelle. Da gibt es nicht viel anderes und was ist, wenn da die Meere leer sind, weil wir so viel Fisch konsumieren? Dann betrifft uns das plötzlich, denn die Menschen können nicht da bleiben, wo sie aktuell leben. Dann kommen diese Menschen zum Beispiel nach Europa und dann betrifft das jeden von uns. Wir können bestimmt vier Millionen Menschen aufnehmen, vielleicht sogar zehn, aber nicht eine Milliarde.

Und wenn man das verstanden hat, dann wird einem zwar schnell klar, dass die Lage dramatisch ist, aber dass jeder auch ziemlich schnell etwas daran ändern kann. Das ist das, worum es mir geht. Ich will niemandem verbieten etwas zu tun, aber macht es doch bitte richtig.


Ihr wollt die packenden Dokumentationen von Robert Marc Lehmann selbst sehen? Am 12. September zeigt VOX ab 20.15 Uhr die Dokumentationen über die Schönheit und Verletzlichkeit unserer Erde.


Wie wichtig findest Du es grundsätzlich, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Medien aufgenommen wird?

Robert Marc Lehmann: Das ist ein Thema, welches mich seit meiner Kindheit beschäftigt. Ich weiß seit gefühlt 30 Jahren um Fischbestände im Meer um die Schlachtung der Wale und um die Abholzung des Regenwaldes. Wir haben früher in der Micky Mouse gelesen, der Regenwald wird abgeholzt, spenden Sie bitte hier. Oder beim Bier trinken: Wenn im Deckel steht "Sie schützen den Regenwald". Eigentlich hätte man sich den Problemen viel eher annehmen müssen. Durch Corona haben wir gesehen, dass sich die komplette Welt in wenigen Tagen auf den Kopf stellen und ändern kann. Wenn wir das jetzt im Bezug auf Artensterben, Klimawandel, Überfischung oder Plastikmüll anwenden würden, wie geil wäre das?

Ein großes Thema im Rahmen der Aktionswoche "Packen wir's an" ist unter anderem nachhaltiges Essen und Lebensmittelverschwendung. Wie konkret lebst du das?

Robert Marc Lehmann: Grundsätzlich gilt: Niemand ist perfekt, danach strebe ich auch nicht. Ich versuche das, was ich weltweit gesehen habe, auf mich persönlich anzuwenden. Ein kleines Beispiel: Wenn du in Borneo im Dschungel gesehen hast, wie Orang Utans verbrennen, weil Palmölplantagen gebaut werden müssen, dann ist das ein Bild, welches dir nicht mehr aus dem Kopf geht.

Dann kannst du zu Hause nicht mehr guten Gewissens Lebensmittel kaufen, in denen Palmöl enthalten ist und sagen, das betrifft mich ja nicht. Dein Konsum in Deutschland hat weltweite Konsequenzen. Dein Einkaufszettel, den du schreibst, ist ein Stimmzettel, für den Planeten oder dagegen. Den Fisch, den du kaufst, das hat eine Konsequenz im Meer. Nicht nur, dass er dann dort fehlt, Netze reißen ab und treiben als Geisternetze durch das Meer oder liegen am Strand und andere Tiere verstricken sich darin. Ich sehe die Konsequenzen, wende das auf mich persönlich an und sage dann, ich esse halt keinen Fisch mehr. Ich versuche Palmöl so wenig wie möglich zu konsumieren, ich versuche auf alternative Verkehrsmethoden auszuweichen.

Ich gleiche meinen CO2-Abdruck aus, wenn ich mal irgendwo hin geflogen bin, denn ich komme ums Fliegen leider nicht herum. Es gibt verschiedene Seiten, auf denen man ausrechnen kann, wie groß der CO2-Abdruck war und dann zahle ich einen gewissen Betrag und diese Seiten investieren das in nachhaltige Projekte, bei denen zum Beispiel Bäume angepflanzt werden, die CO2 ja wieder aufnehmen oder in regenerative Energien. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.

Mein Balkon ist gefühlt der Grünste in der ganzen Stadt, ich habe bestimmt 30 Pflanzensorten auf dem Balkon stehen, das sind alles heimische Pflanzen und da sitzt alles voller Bienen, Wespen, Hummeln und Insekten jeglicher Art. Ich füttere die Vögel das ganze Jahr. Aktuell habe ich 17 Vogelarten am Balkon. Ich habe einen Hund aus Rumänien gerettet, der wäre sonst ein Fellkragen geworden. Sowas finde ich unfassbar. Wenn ich durch die Innenstadt laufe und überall Jacken mit Fellkragen sehe oder Boots mit so einem kleinen Bommel, da denke ich dann immer, ihr habt noch nicht kapiert, wie es funktioniert.

Trotzdem: Niemand ist perfekt und auch ich esse mal ein Stück Fleisch. Wenn mein Kumpel zum Beispiel ein Reh, was sein Leben lang in Freiheit gelebt hat, schießt, das finde ich noch in Ordnung. Ich finde es nicht in Ordnung, für 1,29 Euro ein Kotelett zu kaufen, wo das Schwein zu Tode gequält wurde. Aber ein Tier in Freiheit, vernünftig und waidgerecht geschossen und respektvoll behandelt, einmal im Monat oder zu Feiertagen, das ist für mich völlig in Ordnung. Niemand muss Veganer oder Vegetarier werden, aber unser Konsum muss sich massiv verändern. Weg von der Massentierhaltung und von der Massenproduktion hin zu gutem und bewusstem Essen. Denn damit tust du nicht nur der Natur und den Tieren etwas gutes, sondern auch dir selbst.

Empfindest Du in anderen Ländern einen anderen Umgang mit Lebensmitteln und der Umwelt im Allgemeinen?

Robert Marc Lehmann: Grundsätzlich muss man wissen: Deutschland ist das günstigste Land der Erde. Zum Beispiel gibt es Milch nirgendwo günstiger. In Neuseeland kostet ein Apfel zwei Euro und ein Liter Milch sechs Euro, das sind die Preise für solche Produkte. In Deutschland haben wir so etwas nicht, was für mich völlig absurd ist.

In vielen anderen Ländern können die sich Verschwendung auch gar nicht leisten. Wie können wir denn Lebensmittel wegschmeißen oder sagen, diese Gurke hat 15 Grad zu viel in der Biegung, die nimmt der Konsument nicht? Das kann doch nicht euer Ernst sein, wo sind wir denn hingekommen? Und deswegen kaufe ich immer besonders ungerades Gemüse, so!

Was wünscht du dir von Politik und Wirtschaft?

Robert Marc Lehmann: Du musst jetzt nicht die ganze Welt verändern und Milliarden investieren, sondern vernünftig konsumieren, das richtige Fleisch kaufen, wenn es schon Fleisch sein muss. Am Ende werden die Vegetarier und die Veganer unseren Planeten retten, denn die haben den geringsten CO2-Abdruck. Arten nicht ausrotten. Beim Thema Fisch einfach nachhaltigen Fisch kaufen, sich informieren und gucken, wo kaufe ich was.

Ich höre da gerne Podcasts, lasse mich inspirieren und du triffst manchmal auf Ideen, auf die du im Leben nicht gekommen wärst. Bei welchem E-Mail-Provider du bist, wo du dein Bankkonto hast, ob die in nachhaltige Sachen investieren oder in Rüstung. Welche Partei du wählst ist natürlich auch ein bisschen entscheidend. Welches Auto du fährst, welche Klamotten du trägst oder welche Kosmetik du verwendest. Alles hängt irgendwie zusammen und das Schöne ist: Verzicht ist gar nicht das, worum es mir geht. Mach einfach nur Dinge clever und anders.

Es ist ja auch so ein fifty-fifty Ding. 50 Prozent liegen an uns, was kaufe ich, wie verhalte ich mich und die anderen 50 Prozent, die liegen an unserer Regierung und die müsste sich hier und da auch in die richtige Richtung bewegen. Nicht falsch verstehen, wir leben meiner Meinung nach in einem äußerst gut regierten Land. Ich kann mich frei bewegen, ich kann meine freie Meinung sagen, ich fühle mich nicht in meiner Demokratie eingeschränkt. Es ist alles cool hier, da gibt es ganz andere Länder, aber hier fühle ich mich pudelwohl.

Aber wir haben einiges versäumt in Sachen Natur, Umwelt und Artenschutz. Das muss in die Agenda der Politik. Wir dürfen unsere Natur nicht für Wirtschafts- und Sicherheitszwecke hinten runter fallen lassen. Die Natur ist extrem wichtig. Unsere Meere, Ostsee und Nordsee sind extrem wichtig, das sind die größten Ökosysteme der Erde, die gehören geschützt. Ich will nicht, dass in Deutschland 14 Schmetterlingsarten in zehn Jahren ausgestorben sind. Ich will nicht, dass unsere Wälder sterben. Ich möchte nicht, dass alle Insekten verschwinden und alle Fische aus unseren Meeren verschwinden, es uns aber trotzdem gut geht, das kann nicht sein.

Und das ist eine politische Fragestellung, das kommt ein bisschen darauf an, wie man seine Prioritäten setzt und ich finde, Artenschutz gehört ins Grundgesetz, das sagen viele clevere Menschen, die sich mit der Wissenschaft und mit Tieren auskennen und das ist für mich unabdingbar. Dass ich das überhaupt ansprechen muss, wundert mich. Warum ist das nicht längst im Grundgesetz? Meinetwegen Paragraph zwei. Nach der Menschenwürde kommt gleich, unsere Natur ist schützenswert. Punkt.

Ihr habt Lust, noch mehr Lebensmittel zu retten?

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