20. Januar 2022 – Johanna Grüter
Engagement für Bedürftige
Osnabrücker bauen mobile Unterkünfte für Obdachlose
Die beiden jungen Menschen Tik und Less setzen sich für Wohnungslose in Osnabrück ein, indem sie mobile Unterkünfte aus gespendeten Materialien bauen. Was sie antreibt und mehr über ihr Projekt erfahrt ihr hier.
Die beiden Osnabrücker Tik (links) und Less (rechts) posieren vor ihrem dritten selbstgebauten Wagen. Um für ihre Sicherheit zu sorgen, schützen die beiden ihre Identität durch die Maskierung. Foto: Antenne Niedersachsen
An einer großen, viel befahrenen Straße in Osnabrück bauen Tik und Less mobile Unterkünfte für Menschen ohne Dach über dem Kopf. Aus gespendeten Materialien fertigen sie schmale Wagen auf Rädern an, die Platz für maximal zwei bedürftige Menschen und deren persönliches Hab und Gut bieten. Mit dem Projekt möchten sie Wohnungslosen gerade für die Wintermonate eine Unterkunft bieten, die diese eigenständig nutzen können. Um das gewährleisten zu können, transportieren Tik und Less die Wagen per Fahrrad an den gewünschten Standort, wo er dann verbleibt. Die Dankbarkeit, die die Bedürftigen ihnen für ihr Engagement entgegenbringen, motiviert Tik und Less ungemein.
Ein Akt der Solidarität
Auf den Wagen fallen direkt die Schriftzüge "Würde" und "Mir ist kalt" auf. Neben dem künstlerischen Aspekt sollen die Worte Emotionen in Mitmenschen wecken und auf Obdachlose aufmerksam machen. Tik und Less hatten schon selbst jahrelang kein Dach über dem Kopf und sind gerade erst in ihren Zwanzigern. Daher wissen sie um die Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu finden.
Einrichtungen für Wohnungssuchende können keinen sicheren Unterschlupf gewährleisten und aufgrund enger Vorschriften nur die wenigsten aufnehmen. "Ich habe eine Parkbank gegenüber einem Obdachlosenheim vorgezogen", sagt Tik und verdeutlicht, wie unsicher die Umstände dort sind. Gerade Frauen sind gefährdet. Ihnen drohen Übergriffigkeit und Vergewaltigung. Suchtkrankheiten und Diebstahl sind unter anderem Aspekte, die die Aufnahme verhindern oder Personen vor solchen Einrichtungen abschrecken.
Auf die Frage, ob sie zur Not selbst in einem ihrer Wagen unterkommen würden, nicken beide bestimmt. Im Gegensatz zum Obdachlosenheim fühle man sich darin auf der Straße sicherer. Tiks und Less' Wagen sind durch ein Vorhängeschloss abschließbar. "Wenn man rein will, kann man das, aber das kann man auch in jede richtige Wohnung," fügt Less hinzu.
Aufmerksam machen
"Würde" steht an der Außenseite des dritten Wagens. Begriffe wie diese sollen zur Solidarität aufrufen. Foto: Antenne Niedersachsen
Auf der Außenwand steht "Mir ist kalt." geschrieben. Damit möchten Less und Tik Emotionen in Mitmenschen wecken. Foto: Antenne Niedersachsen
Vom Baumhaus zur mobilen Unterkunft
Seit zwei Monaten ist der erste Wagen der jungen Leute bezogen. Ein Mann, den sie aus Zeiten von der Straße kennen, hat von ihnen diese Wohnmöglichkeit bekommen. Er war zudem die Inspiration für Tiks und Less' Projekt, das unter den Stichworten "Simplizität" und "günstig" steht. Die Kosten für zugekauftes Material belaufen sich auf circa 60 Euro pro Mobil, die die Hartz-IV-Empfänger eigenständig tragen. Währenddessen handelt es sich bei dem Großteil der Baustoffe um Spenden. Die Außenverkleidung besteht aus selbst abgehängten Wahlplakaten der Linkspartei, das Grundgerüst aus alten Holzteilen und isoliert wird mit ausrangierten LKW-Planen. Wer glaubt, er könne mit seinem Sperrmüll nichts mehr anfangen, wird hier eines besseren belehrt. Da immer unterschiedliches Material zur Verfügung steht, ist jede Unterkunft ein Einzelstück. "Jeder Wagen wird so ein bisschen individuell. Ich mag das auch total, dass es nicht irgendwie in Reihe gebaut ist", erzählt Tik voller Begeisterung.
Dass viel Leidenschaft in dem Projekt steckt, wird auch in den kleinen verbauten Details deutlich. An einer Wand ist ein Palettenregal für zusätzlichen Stauraum angebracht und durch eine Lichterkette wird sogar Gemütlichkeit erzeugt. Momentan arbeiten die beiden an ihrem dritten Wagen und sind dort mit der Isolierung durch Isomatten und Decken beschäftigt. Aus vorherigen Aktionen haben die beiden gelernt, Baumhäuser zu bauen. Dieses Wissen wenden sie jetzt auf ihre Mobile an.
Die mobile Unterkunft
Unsere Regionalreporterin Sarah Buletta interviewt Less beim Isolieren des Wagens. Foto: Antenne Niedersachsen
Die Außenwand besteht aus Wahlplakaten und durch eine gespendete Tür mit Fenster gelangt Licht in die Unterkunft. Foto: Antenne Niedersachsen.
Less tackert eine Decke an die Innenwand des Wagens. So wird die Bleibe isoliert. Foto: Antenne Niedersachsen
Ein Blick durch die Eingangstür. Auf die Palette werden noch Bretter geschraubt, sodass sie als Regal dienen kann. Foto: Antenne Niedersachsen
Schaut man durch das kleine Fenster, kann man das unfertige Palettenregal (rechts) und die Lichterkette besonders gut erkennen. Foto: Antenne Niedersachsen
Less zeigt uns, wie viel Platz ein Wagen bietet. Maximal zwei Personen können aneinander gekuschelt in dem Mobil liegen. Foto: Antenne Niedersachsen
Menschen Autonomie zurückgeben
Ist ein Wagen fertiggestellt, so kann er unkompliziert dorthin transportiert werden, wo der Obdachlose ihn benötigt. Da die Unterkünfte so schmal sind, dürfen sie ohne Genehmigung vom Ordnungsamt in der Stadt abgestellt werden. Sollte das Mobil an seinem Platz stören, so können die Aktivisten per Telefon darüber informiert werden. Alle Wagen sind durchnummeriert, sodass klar ist, um welches Objekt es sich handelt.
Das Projekt sieht vor, einem Wohnungslosen eine Bleibe zur Verfügung zu stellen, für die er eigens verantwortlich ist. Sollte der Leichtbau nicht mehr gebraucht werden, nehmen Tik und Less ihn zurück und bestimmen einen neuen Nutzer. Die Nachfragen zu ihren Wagen sind immens hoch und kommen überwiegend aus der Richtung des Bewohners ihrer ersten Unterkunft. Tik berichtet: "Wir haben sogar tatsächlich eine Anfrage von einem Pärchen bekommen". Ginge es nach den Osnabrückern, würden sie größere Bauten anfertigen. Allerdings käme es dann zu Transportschwierigkeiten und mehr Aufwand mit dem Ordnungsamt.
Der zweite Wagen ist bereits fertig, und steht an der Straßenseite, wo er gebaut wurde. Foto: Antenne Niedersachsen
Hier könnt ihr helfen
Neben ihren Wagen helfen Less und Tik auch mit einer Spendenmöglichkeit für Kinderkleidung und Spielzeug. In ein Regal am Spielplatz an der Teutoburger Schule kann man Gebrauchtes legen, sodass sich andere etwas davon nehmen können.
Möchtet ihr die beiden in ihrem Projekt unterstützen, dann könnt ihr Euch unter der 0178/1784384 bei ihnen melden. Gesucht werden vor allem Decken, Isomatten, Holz und Styroporplatten. Eure Spende wird in jedem Fall dankend angenommen und kommt bedürftigen Menschen zugute.
Per Instagram, Telegram und natürlich über das Telefon könnt ihr Kontakt zu Less und Tik aufnehmen, um Material zu spenden. Foto: Antenne Niedersachsen