02. Dezember 2024 –

Borkum

Nikolausbrauch "Klaasohm" steht in der Kritik

"Klaasohm" ist ein Brauch auf der niedersächsischen Nordseeinsel Borkum. Nun steht das Fest aufgrund von Gewalt gegen Frauen in der Kritik. Unsere Morgenshow-Moderatoren haben mit einer ehemaligen Borkumerin gesprochen.

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05.12.2011: Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich am Abend (Aufnahme vom 05.12.2011) in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfaßsäule in die Arme der Schaulustigen. Die waghalsige Sprünge in die Menschenmenge waren beim traditionellen Klaasohm-Fest zu sehen. Zuvor hatten die sechs unverheirateten Männer mit ihrem Gefolge die Straßen unsicher gemacht., Foto: picture alliance / dpa

Worum es bei "Klaasohm" geht

Die Tradition "Klaasohm" wird seit Generationen auf der niedersächsischen Insel Borkum in der Nacht zum 06. Dezember gefeiert. Auf Borkum wird sich erzählt, dass der Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Die Männer seien am Jahresende zurück auf die Insel gekommen, nachdem sie monatelang auf See waren, und hätten mit dem Brauch klargemacht, dass nun wieder sie - und nicht die Frauen - das Sagen hätten.
Ein Teil des Brauches ist es, dass junge Frauen gejagt, festgehalten und von den Männer mit Kuhhörnern einen Schlag auf das Gesäß bekommen. Nach heftiger Kritik soll dieses Jahr alles anders werden: Die Veranstalter kündigten an, den "Brauch des Schlagens" vollständig abzuschaffen. "Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner", teilte der Verein Borkumer Jungens mit.

Unsere Morgenshow-Moderatoren Danica und Flüecki haben mit der ehemaligen Borkumerin Hanna gesprochen. Sie selbst hat die „Klaasohm“-Nacht zweimal als Jugendliche miterlebt und erzählt uns im Interview über ihre Erfahrungen, warum sie sich öffentlich dagegen ausspricht und was das für Auswirkungen das Thema auf die Insel Borkum haben kann.

Interview Klaasohm
02.12.2024
Interview Klaasohm
Unsere Morgenshow-Moderatoren Danica und Flüecki sprechen mit der ehemaligen Borkumerin Hanna über ihre Erfahrungen.
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Frauen berichten von Schlägen mit einem Kuhhorn

Ein Bericht des ARD-Magazins «Panorama» über die Tradition hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. In dem Beitrag berichten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen. Ein Team filmte im vergangenen Jahr, wie Frauen bei dem Fest auf der Straße von «Fängern» festgehalten werden und ihnen die sogenannten Klaasohms mit einem Kuhhorn auf den Hintern schlugen.

«Was für eine schreckliche Tradition. Wie tief die Unterdrückung von Frauen noch verankert ist», kommentierte eine Nutzerin den Beitrag des NDR-Reportageformat «STRG_F», der auf YouTube veröffentlicht wurde. Das Video erreichte auf dem Portal binnen zwei Tagen knapp 700.000 Aufrufe und erzielte hohe Reichweiten in den sozialen Netzwerken.

Anfeindungen und Hass-Kommentare

Die Veranstalter des Fests auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Insel sprechen von einem «Shitstorm». Der Verein Borkumer Jungens, die Stadt und das Nordseeheilbad würden seit Veröffentlichung des Beitrags mit Nachrichten und E-Mails überhäuft. In einigen Kommentaren online wird der Rücktritt des parteilosen Bürgermeisters Jürgen Akkermann gefordert, der das Statement des Vereins unterstützt. Laut Veranstalter sagen inzwischen auch Touristen ihren Urlaub auf der ostfriesischen Insel ab. 

Am Sonntag demonstrierten rund 150 bis 200 Borkumerinnen für den Erhalt des umstrittenen Nikolausbrauchs. «Es blieb alles friedlich», sagte ein Sprecher der Polizei. Die Frauen sollen spontan durch die Straßen der Gemeinde gelaufen sein und durch Kuhhörner geblasen haben. 

Auch online formiert sich Protest. «Wir stellen uns auf der Insel weiter der Kritik, aber Aufrufe zur Gegengewalt von autonomen Gruppen, Inselsturm usw. haben ein Ausmaß angenommen, der ebenfalls nicht tolerierbar ist», schreibt ein Mann in einer öffentlichen Facebook-Gruppe rund um Borkum. «Die Insel ist seit Jahren im Wandel und auch Klaasohm!»

Veranstalter distanzieren sich öffentlich von Gewalt

Der Verein räumte ein, die Tradition könne im heutigen Zeitgeist und aus Sicht Außenstehender kontrovers wirken. Künftig sollen das Fest transparenter gestaltet und Missverständnisse aufgeklärt werden. «Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen.»

Das Schlagen mit Kuhhörnern sei in der Vergangenheit «und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren» Teil des Brauches gewesen, heißt es in der Stellungnahme. «Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre.» Dieser Teil habe jedoch nie den Kern des Fests ausgemacht. In den vergangenen Jahren sei es «fast gar nicht mehr» erfolgt.

Bürgermeister: Videosequenz zeigt Fehlverhalten einzelner Menschen

Der Bürgermeister stärkt den Veranstaltern den Rücken. Die Videosequenz zeige ein Fehlverhalten einzelner Menschen und könne «keinesfalls als Beleg dafür herhalten, dass die Insel Gewalt toleriert, wie es der Bericht suggeriert», teilte Jürgen Akkermann mit. «Heutzutage feiern Frauen, Männer und Kinder auf den Straßen, in den Lokalen und in den Häusern gemeinsam. Leider kommen aber positive Stimmen im Bericht nicht zu Wort.»

Die Recherche stelle ein verzerrtes Bild des Brauches dar. «Die Berichterstattung ist aus meiner Sicht tendenziös und unseriös. Diese Bewertung wird von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt», sagte Akkermann. 

NDR-Reporter berichten hingegen, dass von offizieller Stelle alle Interviewanfragen abgesagt worden seinen. Mehrere Fürsprecher aus der Borkumer Bevölkerung hätten ihre Interviews vor der Veröffentlichung des Beitrags zurückgezogen.

Staatssekretärin: Debatte über Brauch «dringend notwendig»

Die Staatssekretärin im Sozialministerium, Christine Arbogast, kritisiert, dass über den Brauch nicht offen gesprochen wird. «Dabei wäre eine Debatte darüber, ob "Klaasohm" in dieser Form noch zeitgemäß ist, dringend notwendig», sagte sie. Bräuche und Traditionen überdauerten die Zeiten am besten, wenn sie mit der Zeit gingen. «Die notwendigen Anstöße und Impulse müssen dabei in erster Linie von den Borkumerinnen und Borkumern selbst ausgehen.»

Die Polizei ermutigt indes Frauen, denen bei dem Brauch Gewalt widerfahren ist, Strafanzeige zu stellen. «Wer Opfer geworden ist, sollte keine Angst haben», betonte der Sprecher der Polizei. «Wir nehmen das sehr ernst.» Delikte wie Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung verjähren demnach erst nach 20 bis 30 Jahren.

Worum es bei «Klaasohm» geht

Die Tradition gibt es seit Generationen jedes Jahr am Abend vor dem 6. Dezember. Nach Angaben des Regionalverbandes Ostfriesische Landschaft verkleiden sich dabei junge, unverheiratete Männer mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Der Ausdruck «Klaas» geht demnach auf das niederländische Wort für Nikolaus zurück. Die Klaasohms begleiten dann einen als Frau verkleideten Mann, der sich als sogenannte Wievke mit Rock und Schürze wild gebärdet. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es dem Brauch zufolge zuerst in einer Halle zu einem rituellen Kampf, zu dem nur Männer zugelassen sind, die auf Borkum geboren wurden. Danach geht's «unter Getöse von Haus zu Haus», beschreibt der Regionalverband.

Für die Kinder gibt es Honigkuchengebäck

«Junge Frauen, die sich in dieser Nacht aus dem Haus wagen, werden gefangen und mit einem Kuhhorn verhauen. Die Kinder aber werden gut behandelt und bekommen Moppen, ein hartes Honigkuchengebäck, geschenkt», heißt es weiter. Den Abschluss findet der Brauch demnach auf einem Platz. Höhepunkt sei ein Sprung der Klaasohms und der Wievke von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge.

(mit Material der dpa)

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