07. Dezember 2021 – Nicklas Just (deaktiviert)

Gastro leidet unter 2G-Plus

"Die hätten einen Lockdown machen sollen"

Die Pflicht zum zusätzlichen Test sorgt für leere Gasträume. Antenne Niedersachsen-Reporter Nicklas Just hat zwei Göttinger Gastronomiebetriebe besucht und mit ihnen über Kuchen, Gänse und Testzertifikate gesprochen.

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Der leere Gastraum im Göttinger "Café Cortès". Mit 2G-Plus in der Gastronomie kommen deutlich weniger Gäste in Restaurants, Cafés und Gaststätten, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just

"Ich zeig dir mal die Reservierungen" sagt Khalid Zarouite zu mir und hievt ein dickes Buch mit Ledereinband über den Tresen. Am Tisch blättert er in dem Wälzer zum 02. Dezember. Es ist der zweite Tag an dem, wie in ganz Niedersachsen, auch bei Zarouite 2G-Plus gilt. Ins Restaurant darf nur noch, wer geimpft oder genesen ist und zusätzlich einen tagesaktuellen Test nachweisen kann. Khalid geht die verschiedenen Reservierungen des Tages durch: "12 Personen - abgesagt. 25 Personen - abgesagt. 35 Personen - abgesagt. 6 Personen - abgesagt. Und der Stammtisch wäre sowieso nicht gekommen." Das einzige, was ihm an diesem Tag ein bisschen Geld in die Kasse gespült hat, war der Außer-Haus-Verkauf. Seit letztem November (Stichwort: Lockdown light) ist Khalids Gaststätte "Trattoria Zur Linde" bei Lieferando. Ein sicheres Standbein sei das aber nicht.

Während wir sprechen, ist gerade Mittagszeit. In einer Ecke sitzt eine Gruppe Seniorinnen und Senioren, die sichtlich erfreut ist, gemeinsam essen zu können. Zwischendurch holt noch jemand Pizza ab: für die Apotheke gegenüber, bei der ich am Vormittag noch den letzten freien Testtermin ergattern konnte. Ansonsten ist der Gastraum leer. "Das ist nicht normal - alles storniert. Und das geht immer weiter", sagt Khalid.

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Inhaber Khalid Zarouite steht in seiner Gaststätte "Trattoria Zur Linde" in Göttingen-Geismar, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just

"Wir haben 120 Gänse gekauft"

Besonders düster schaut Khalid auf das anstehende Weihnachtsgeschäft. Auch dieses Jahr ist die Gaststätte an den Weihnachtstagen gut gebucht. "Der erste Weihnachtstag ist voll", berichtet mir der Gastwirt, während er in seinem Buch blättert. "Der Zweite noch nicht ganz." Bisher habe zwar noch niemand storniert, das sei aber nur eine Frage der Zeit. Deswegen möchte Khalid seine Weihnachtsreservierungen noch einmal abtelefonieren, ob sie denn auch wirklich zum Essen kommen.

Leidenschaftlich erzählt mir der Wirt, was er an Weihnachten gern alles kochen würde: "Auch mal etwas besonderes, was nicht auf der Karte steht: zum Beispiel Basmatireis und Datteln mit Seesaiblingen." Sollten die Weihnachtsgesellschaften tatsächlich zuhause bleiben, bleibt Khalid auf vielen Lebensmitteln sitzen: "Wir haben Gänse gekauft. Wir haben Rotkohl. Wir haben Grünkohl. Unsere Gänse garen schon im Kombi-Dämpfer. Die lassen wir abkühlen, bevor wir sie dann einzeln vakuumieren und einfrieren." Über 120 Gänse hat er bereits eingekauft. "Die kann ich im Mai nicht verkaufen. Da will keiner Gänse haben", folgert Khalid trotz der unsicheren Lage mit einem Lachen.

Die vergangenen Monate der Corona-Pandemie waren für Khalid nicht gerade rosig: "Mit Ach und Krach sind wir durchgekommen. Der Eigentümer hier ist uns mit der Pacht ein bisschen entgegengekommen. Die Novemberhilfen haben uns wirklich gut getan und auch die Senkung der Mehrwertsteuer beim Essen von 19 auf 7 Prozent hilft uns sehr. Aber das jetzt ist ein echter Schnitt." An der jetzigen 2G-Plus-Regelung lässt der Göttinger Wirt kein gutes Haar: "Das ist eine Wischi-Waschi-Geschichte. Die hätten einen Lockdown machen sollen - komplett zu." Denn jetzt steht "Trattoria Zur Linde" mit wenig Einnahmen da und ohne staatliche Hilfen, die mit einem Lockdown einhergegangen wären.

Ein Konditorei-Café wird immer mehr zum Online-Shop

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Die Theke im Café Cortès. Zum Mitnehmen gibt es hier Kuchen und Torten auch ohne Testzertifikat, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just

Gut drei Kilometer entfernt stehe ich vor dem "Café Cortès" und muss vor dem Betreten eine Tafel studieren. Normalerweise stehen hier die tagesaktuellen Angebote; heute informiert mich die Tafel, welche Corona-Regeln wann gelten: Wenn ich bei drei Grad Celsius draußen essen möchte, gilt 2G. Für die Innengastro brauche ich noch ein zusätzliches Testzertifikat. Und wenn ich nur ein Stück Kuchen to go an der Theke kaufen möchte, brauche ich weder Impf- noch Testnachweis.

Drinnen (dem freien Testtermin sei dank) erzählt mir Geschäftsführer Moritz Klenke, dass der große Ansturm auch hier im Innenstadt-Café ausbleibt: "Es kommen deutlich weniger Gäste, weil klar ist, dass die Testkapazitäten gerade hier in Göttingen nicht ausreichen." Besonders zu Beginn der 2G-Plus-Regelung habe er viele verunsicherte Gäste erlebt, die nicht wissen, ob sie denn überhaupt reindürften oder noch gar nicht mitbekommen hatten, dass 2G-Plus gilt: "Da kommen dann beispielsweise Menschen aus dem Altersheim eine halbe Stunde zu Fuß hierher, nur um ein Stück Kuchen zu essen und einen Kaffee zu trinken und denen dann zu sagen 'Wir dürfen Sie nicht bedienen, aber sie können sich gern raus setzen' tut einem schon in der Seele weh."


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Geschäftsführer Moritz Klenke sitzt im fast leeren Café Cortès, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just

"Es bricht das weg, was Freude am Job macht"

An diesem frühen Nachmittag bleibt das Café leer. "Es ist gerade 14 Uhr und wir haben zwei, drei Tische. Normalerweise ist der Laden am Brummen", sagt Moritz sehr nüchtern. Während ich einen Kakao trinke, erzählt er mir, wie das Café vom Kontakt zwischen Gästen und Mitarbeitenden lebt: "Das macht auch den Charakter des Ladens aus." Später kommen noch zwei Stammgäste und setzen sich an den Tisch neben uns. Vor Corona seien sie jede Woche hier gewesen und auch jetzt machen sie sich die Mühe, einen Extra-Schnelltest zu machen, um ihren Kuchen vor Ort essen zu können. Sie bestätigen, wie wichtig ihnen der Charakter des Ladens ist: "Es fühlt sich hier heimisch an." Viel los ist aber immer noch nicht. Auch, wenn Moritz die aktuelle Situation absolut nüchtern schildert, merke ich, wie ihm die neue Einschränkung in der Gastro-Seele wehtut.

Unterkriegen lassen sich aber weder Moritz, noch das restliche Team. Das Café hat "den Fokus wieder mehr darauf gelegt, zu den Gästen zu kommen, wenn die Gäste nicht zu uns kommen können", so Moritz. Dafür wurde schon vor anderthalb Jahren ein Online-Shop aufgebaut, in dem man sich Kuchen bestellen kann, der dann ähnlich wie eine Pizza innerhalb einer Stunde geliefert wird, wie der junge Geschäftsführer mit ein bisschen Stolz erzählt. "Glücklicherweise haben wir zudem noch den Thekenverkauf, weil wir eben Café und Konditorei sind. Es bricht nicht alles weg. Es bricht halt das weg, was Freude am Job macht."


Seit dem 04. Dezember entfällt die Testpflicht für geboosterte Personen

Seit Samstag (04. Dezember) sind Menschen, die bereits ihre Auffrischungsimpfung erhalten haben, von der zusätzlichen Testpflicht befreit. Sie gelten ab dem Tag der Booster-Impfung auch ohne Testzertifikat als 2G-Plus-konform.

Ein weiterer Lichtblick für die Gastronomie kommt aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Wie deren Sprecherin Anke Pörksen mitteilte, soll schon ab kommendem Samstag (11. Dezember) eine zusätzliche Erleichterung rund um 2G-Plus in Kraft treten: Gastronomiebetriebe, die ihre Räumlichkeiten nur zu maximal 70 Prozent auslasten, sollen dann auf die zusätzliche Testpflicht verzichten dürfen.

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