22. Oktober 2021 – Nicklas Just
Schröder, Golf und Kartoffeln
10 Fakten über... Edemissen
Wusstet ihr, dass das 3.600-Seelen-Dorf Edemissen West-Berlin vor dem Mauerfall mit Kartoffeln versorgt hat und Altkanzler Schröder hier Trauzeuge war?
Das historische Altdorf in Edemissen zeigt sich in typisch-niedersächsischem backstein-rot, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
1. Golfhochburg Edemissen
Überregionale Bekanntheit hat Edemissen durch seinen durchaus beliebten Golfplatz erhalten. 1993 wurde der Golfplatz in Edemissen eröffnet. Das Bauvorhaben stieß damals noch auf einige Vorbehalte in der Bevölkerung und bei den ansässigen Bauern. Will man wirklich snobbiges Golfklientel in der so landwirtschaftlich geprägten Ortschaft haben?
Nicht nur, aber auch aufgrund der guten Pachtpreise, die für die Grundstücksbesitzer herausspringen, konnte sich der Golfplatz etablieren und hat Edemissen ein echtes Alleinstellungsmerkmal verschafft.
Heute hat der Platz 18 Löcher und läuft so gut wie nie. Selbst aus Gifhorn, wo es einen eigenen Golfplatz gibt, sollen Golfbegeisterte extra nach Edemissen kommen. Und weil es so gut läuft, wird aktuell überlegt, den Platz neun weitere Löcher zu erweitern.
Zwischen typisch niedersächsischen Äckern befindet sich am Ortsrand der angelegte Golfplatz. Eine Erweiterung ist bereits in Planung, Foto: Reinhard Bartels
2. Zentrum einer Bahnverbindung der Region
Könnt ihr euch vorstellen, dass durch das 3.600-Seelen-Örtchen eine Dampflok fuhr? Tatsächlich gab es hier eine Bahnverbindung, in dessen Zentrum Edemissen lag. 1922 wurde die Strecke Peine - Plockhorst eingeweiht. Mit einer qualmenden Dampflok konnte man bis 1959 zum Beispiel ins nahe Stederdorf fahren. Zeitzeugenberichten zufolge war das Gefährt allerdings nicht sehr schnell, sodass man zum Rendezvous in Stederdorf während der Fahrt noch ein paar Blumen pflücken konnte. Nachdem der Personenverkehr eingestellt wurde, wurde die Strecke noch einige Zeit als Güterstrecke genutzt, zum Beispiel für Rüben- und Kartoffeltransporte. Mittlerweile wurden die Gleise abgetragen. Lediglich das Bahnhofsgebäude ist auch heute noch erhalten - allerdings als Wohnhaus.
Trotzdem ist Edemissen verkehrsmäßig gut angebunden. Über die A2 ist man schnell in Hannover oder in Braunschweig. Bei einer Sperrung der Autobahn stehen auch gern einmal die umgeleiteten LKW im Ort.
Der Edemisser Bahnhof damals und heute
Eine undatierte Aufnahme des Bahnhofs Edemissen, als hier noch Züge fuhren, Foto: Heimat- und Archivverein Edemissen
Heute wird das Bahnhofsgebäude als Wohnhaus genutzt. Sein historisches Erbe zu erhalten ist den neuen Eigentümern besonders wichtig, Foto: Reinhard Bartels
3. Famose Trauzeugen
Eine ganz besondere Hochzeit in Edemissen hat im Jahr 2002 für Schlagzeilen gesorgt. Aber noch interessanter als das Brautpaar waren die Trauzeugen. Zur Hochzeit von Marita Himstedt und dem italienischen Künstlers Bruno Bruni kam der Damals-Noch-Kanzler Gerhard Schröder als enger Freund des Künstlers ins Edemisser Rathaus, um die Eheschließung zu bezeugen. Um die Sicherheit des höchsten deutschen Politikers zu gewährleisten, wurde bereits am Tag vor der Trauung das gesamte Rathaus von oben bis unten untersucht, wobei sogar jeder Schreibtisch inspiziert worden sein soll. Mit Personenschutz konnte dann geheiratet werden. Und weil eine Hochzeit immer zwei Trauzeugen braucht, wurde die andere Stelle mit dem damaligen Boxweltmeister Dariusz Michalczewski besetzt.
4. Der älteste, schönste und interessanteste Speicher
Edemissen hat den ältesten, schönsten und interessantesten Speicher der Region, wenn nicht sogar der Welt. Das sagt zumindest Reinhard Bartels, der über 20 Jahre lang Vorsitzender des "Heimat- und Archivvereins Edemissen" war. Heute ist er "nur" noch im Vorstand des Vereins tätig.
Edemissen hat aber nicht den EINEN Speicher, der der älteste, schönste und interessanteste ist. Jedes dieser Attribute wird von einem anderen Speicher erfüllt. Denn im historischen Altdorf hat Edemissen eine ganze Menge ehemaliger Speichergebäude. Zwei der Speicher, der älteste, zweistöckige Speicher und der schönste sind heute beschauliche Fachwerk-Wohnhäuser. Der älteste, zweistöckige Speicher wurde nachweislich 1574 erbaut. Um das herauszufinden, wurde echte Detektivarbeit geleistet: Aus den Fachwerkbalken wurde ein Stück Holz entnommen, dessen Jahresringe mit Stämmen verglichen wurden, bei denen das Alter bekannt ist. Über die Abfolge der Jahresringe wurde ermittelt, dass die im Speicher verbauten Baumstämme im Winter 1573 geschlagen wurden.
Der interessanteste Speicher ist der ehemalige Zehntspeicher der Gografschaft Edemissen. Der "Gogräf" (wie er selbst Urkunden unterzeichnete) war allerdings kein prunkreicher Erbgraf, sondern ein Verwaltungsbeamter des Amtes Meinersen. Und wie es die Bürokratie damals verlangte, hatte ein jeder Bauer ein Zehntel seines landwirtschaftlichen Ertrages beim Gografen abzugeben. Diese Zehntel wurden dann im Zehntspeicher gesammelt. In diesem Gebäude werden heute weder Getreide, noch Kartoffeln gesammelt, sondern historische Artefakte der Region. Von Handwerk, inklusive einer Mehlsackausklopfmaschine, über Radiogeräte bis hin zu althergebrachten Waschmaschinen (wenn man sie so nennen möchte) hat sich schon einiges in Edemissens eigenem Heimatmuseum angesammelt.
Und so sehen die Speicher aus:
Das schönste Speichergebäude Edemissens ist ein beliebtes Fotomotiv, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
Der älteste, zweistöckige Speicher der Region wurde nachweislich 1574 erbaut, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
Im ehemaligen Zehntspeicher des Gografenhofes finden sich heute vielfältige Exponate, die die Geschichte der Region erzählen, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
Allerhand Zeithistorisches wird im Museum gesammelt: zum Beispiel eine Mehlsackausklopfmaschine, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
Auch Radios finden sich hier. Auf dem rechten Gerät von Siemens lässt sich für schlappe 327 Reichsmark Antenne Niedersachsen empfangen, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
Ein weiteres Exponat zeigt, wie Kleidung mithilfe von Waschbrett- und wanne gereinigt wurde. Die einzige Maschine war die Hausfrau, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
5. Sitz eines heutigen Tourismusgiganten
TUI ist einer der größten Player auf dem Tourismus- und Reisemarkt. Kaum einer weiß aber, dass Edemissen eine wichtige Rolle in der Geschichte des Konzerns spielte. Als TUI noch Preussag hieß, hatte das Unternehmen seinen Hauptsitz in Hannover und einen wichtigen Standort in Berkhöpen, einem Teil der Ortschaft Edemissen. Damals ging es dem Unternehmen aber noch nicht um möglichst gute Urlaubsreisen, sondern um die Förderung von Erdöl. Besonders relevant wurde der Edemisser Standort, als Hannover in den Kriegsjahren angegriffen und der Unternehmenssitz zerbombt wurde. Daraufhin wurden die Geschicke der Preussag AG von Edemissen aus gelenkt.
Noch heute steht ein Erdöl-Förderturm im jetzigen Gewerbepark Berkhöpen, der an die Zeit der Erdölförderung erinnert. Schließlich sorgten die entstandenen Arbeitsplätze für einen ordentlichen Bevölkerungszuwachs und bescherten der Region neben der Landwirtschaft einen weiteren großen Wirtschaftssektor. Auch wenn die Preussag AG heute TUI heißt und in Edemissen schon lange kein Erdöl mehr fördert, bleibt der Einfluss auf den Ort bestehen.
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10 Fakten über...
6. Niedersachsens jüngster Student
Es ist das Jahr 2011 - Zeitungen überschlagen sich mit Interviews. Denn Malte Klingenberg aus Edemissen wird Niedersachsens jüngster Student. Weil aber ein Studienfach für den Hochbegabten ein bisschen zu wenig war, hat er sich parallel an zwei Bachelorstudiengängen versucht: zunächst an Physik, während Informatik ein bisschen später dazukam. Nach einem Master of Science in Physik an der Technischen Universität in Braunschweig und einem weiteren Master in Cognitive Systems an der Universität Potsdam arbeitet er heute - mit 25 - als Entwickler.
Malte Klingenberg, der jüngste Student Niedersachsens, steht bei einem Vorbereitungskurs im Hörsaal des Institutes für angewandte Physik der Technischen Universität in Braunschweig an einer Tafel (Foto vom 14.10.2011), Foto: picture alliance / dpa
7. In dieser Kirche treffen Epochen aufeinander
Wie in vielen Siedlungsgebieten entstand auch in Edemissen sehr früh eine Kirche, die auch heute noch in ihrer Grundform steht. Zunächst entstand im 14. Jahrhundert der Kirchturm. Das heutige Kirchenschiff wurde 1691 gebaut. Die Einrichtung ist dem Barockstil nachempfunden, was für eine reformatorische Kirche untypisch ist. Taufbecken, Altar, Orgel und Wandelemente sind in diesem dunklen, eindrucksvollen Stil gehalten. Anfang der 2000er Jahre musste allerdings das Deckengewölbe saniert werden. In diesem Zuge hat man sich für eine Neugestaltung entschieden, um dem Kircheninneren durch eine helle Decke optisch mehr Raum zu geben. 2002 wurde das neue Deckengemälde durch den Künstler Felix Martin Furtwängler realisiert. Seitdem treffen sich Moderne und Barock in der Architektur der Edemisser Kirche.
Die Neugestaltung wurde im Ort heftig diskutiert. Vor allem zu Beginn wurde die neue Kirchendecke von Alteingesessen nur schwerfällig angenommen. Heute ist man in Edemissen aber stolz auf das Spannungsverhältnis aus Traditionellem und Modernem, das den Charakter der Kirche als Institution widerspiegelt.
Hier treffen die Epochen aufeinander: Während der Altar dem Barock nachempfunden wurde, zeigt die Decke eine zeitgenössische Neugestaltung aus dem Jahr 2002, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
8. Kartoffelversorgung nach West-Berlin
Von wegen schnarchiges Landleben! Zur Zeit der deutschen Teilung hat Edemissen einen erheblichen Teil zur Versorgung West-Berlins beigetragen. Denn gegenüber großen Städten hat der Ort einen großen Vorteil: Es gibt eine Menge Platz, um Kartoffeln anzubauen. Bis heute ist die Knolle das wichtigste landwirtschaftliche Erzeugnis Edemissens. Bis vor dreißig Jahren kam ein großer Teil des Anbaus aber nicht auf den eigenen Teller, sondern in den Nachbarort Dollbergen. Dort wurden die Kartoffeln aus der Region Südheide gesammelt und mit dem Güterzug direkt nach West-Berlin gebracht. Ohne den Kartoffelanbau in Edemissen hätte Berlin also deutlich mehr Hunger gehabt.
9. Einer der letzten Panzerkämpfe des Zweiten Weltkrieges
Das historische Altdorf ist geprägt von alten Höfen, die zum Teil auch heute noch intakt sind oder als Hofläden fungieren. An einem dieser Höfe prangt die Inschrift "Mich warf ein böser Kriegesbrand in Schutt und Asche nieder". Denn 1945, als der Zweite Weltkrieg für Deutschland eigentlich schon verloren war, kamen amerikanische Panzer nach Edemissen. Aus einem Hinterhalt haben vier deutsche Panzer genau diese amerikanische Einheit und ihre Insassen tödlich getroffen. Der Gegenangriff erfolgte schnell. Einem Luftschlag fielen mehrere Wohnhäuser und der genannte Hof zum Opfer. Auch die vier deutschen Panzer sollen aufgespürt und vernichtet worden sein. Bis heute laufen Arbeiten, die den genauen Ablauf der Auseinandersetzung rekonstruieren sollen. Mittlerweile ist aus dem wiederaufgebauten Hof ein Hofladen geworden. Neben Kartoffeln wird hier zum Beispiel regionales Milcheis verkauft.
"Mich warf ein böser Kriegesbrand in Schutt und Asche nieder" steht über dem Eingang dieses wiederaufgebauten Hofes. Er verbindet eine dramatische Geschichte mit leckerem Milcheis, Foto: Antenne Niedersachsen / Nicklas Just
10. Das doppelte Edemissen
Ein klarer Fall für die Navi-Falle: Wenn ihr nach Edemissen im Landkreis Peine möchtet, kann euer Navi euch schon einmal ganz woanders hinführen. Denn Edemissen gibt es gleich zwei mal in Niedersachsen. Einmal das Edemissen, über das wir hier schreiben, ein Stück nördlich von Peine und Zentrum der gleichnamigen Gemeinde. Und das "andere" Edemissen: den Stadtteil von Einbeck in Südniedersachsen. Einer Straßenumfrage im Peiner Edemissen zufolge ist die nördlichere der beiden Ortschaften auch die deutlich coolere. Ob das an der Stichprobe der Befragten hängt oder an der relativen Nähe zum Nordpol bleibt Interpretationssache. ;)